Vom Schillerplatz bis nach Sandleiten
Eine Kunstschule findet ihr Zuhause
Über 70 Jahre ist es nun her, als aus einem Akt der Rebellion der Grundstein für die heutige kunstschule.wien gelegt wurde. Die damalige Leiterin der Meisterklasse für Kunsterziehung, Gerda Matejka-Felden, gründete 1947, sehr zum Ärgernis der akademischen Elite, einen eigenen Vorbereitungskurs für junge Student*innen, die nicht an den staatlichen Akademien zugelassen wurden. Kunst zu machen und zu leben sollte nicht nur einer kleinen, auserwählten Gruppe ermöglicht sein, sondern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, das war der Traum der ambitionierten Pädagogin.
Auf Grund des großen Andrangs entstand 1954 aus einem Vorbereitungskurs im Kellergeschoß der Akademie am Schillerplatz eine eigene private Kunstschule, die sich ihre Räumlichkeiten in der Lazarettgasse mit der künstlerischen Volkshochschule teilte. Es ist zu dieser Zeit ein einzigartiges Projekt, das europaweit Seinesgleichen sucht. Endlich gibt es eine offene, künstlerische Ausbildungsstätte für alle, ohne Aufnahmebeschränkung, ohne Altersgrenzen und ohne nervenaufreibende Aufnahmetests. Geboten wird eine künstlerisch fundierte Ausbildung, in der gemalt, gestaltet, experimentiert und fantasiert werden darf. Durch die ständige Auseinandersetzung mit aktuellen Themen, die jährlichen Diplomausstellungen, und die hervorragenden künstlerischen Leistungen der Diplomand*innen war die Schule aus der künstlerischen Ausbildungsszene Wiens bald nicht mehr wegzudenken.
2014 sahen die damals zuständigen Behörden ,,keinen Bedarf mehr an freischaffenden Künstler*innen in der Gesellschaft‘‘ und die notwendigen Förderungen wurden gestrichen. Daraufhin wurde die Schule nach vielen Jahren des Erfolgs geschlossen. Nicht nur für die Studierenden, die mitten während des laufenden Ausbildungsjahrs einfach vor die Tür gesetzt wurden, war das ein großer Schock, auch die Lehrenden protestierten. Eine kleine Gruppe wurde nicht müde, auf ihrem Recht auf Kunst zu beharren. Schließlich wurde ein neuer Vorstand gewählt und unermüdlich an der Wiederaufnahme gearbeitet. Im November 2015 startete die Schule unter dem neuen Namen kunstschule.wien und mit einem weiteren Standort im 16. Bezirk in ein neues Ausbildungsjahr.
Neue Heimat – neues Glück!
Viel ist passiert seit der Gründerzeit, doch der offene, demokratische Zugang der Schule blieb immer bestehen. Sie widersetzte sich nicht nur erfolgreich einer Schließung, sondern breitete sich räumlich wie sozial immer weiter aus. Im September 2017 fand die kunstschule.wien in der ehemaligen Apotheke im Sandleitenhof endlich ein neues Zuhause. Durch die langjährige Zusammenarbeit mit dem international bekannten Kunstfestival SOHO in Ottakring war die Umgebung bereits vertraut. Die Gegend in und um Sandleiten wurde von der Schule schon in diversen Projekten genau unter die Lupe genommen und diente bisher immer wieder als Inspirationsquelle.
So wurden zum Beispiel im Jahr 2016, in Zusammenarbeit mit den wohnpartnern Ottakring, Gedenkstationen gestaltet, die Geschichten von Zeitzeug*innen des sozialdemokratischen Widerstands in Ottakring erzählen. Ein weiteres Projekt wurde 2010 realisiert. Die Schüler*innen designten Einpackpapier, um es im Rahmen des Projekts ,,wenn die Cevapcici und der Leberkäs‘ mit dem Kebab . . .“ an die Standler diverser Imbisse zu verteilen. Auf dem Einpackpapier waren in den vielen Sprachen der Ottakringer*innen, also auf Deutsch, Türkisch, Kroatisch etc., humorvolle Sprüche und antirassistische Botschaften gedruckt. Die Aktion fand bei den Bewohner*innen und Standlern großen Anklang. Nicht nur sozial-kritische Themen wurden bisher aufgegriffen, sondern auch das Umweltbewusstsein der Ottakringer*innen sollte geweckt werden. So zum Beispiel durch die Installation von Student Bernhard Cociancig zum Thema Plastik und Weichmacher in unseren Nahrungsmitteln, die 2016 im Matteotti-Brunnen in Form einer großen Collage zu sehen war.
So trat die Schule bisher immer wieder in Kontakt mit ihrer unmittelbaren Umgebung und wurde so zu einem lebendigen Beispiel der Verschmelzung von Kunst und Gesellschaft, von Künstler*innen und Bewohner*innen, von Gegensätzen und Zusammenhalt und von gelebter Diversität. Die Lage in einem Randbezirk Wiens entspricht dem Wesen und der Ideologie der Schule, ebenso wie ihr niederschwelliger Zugang. Anstatt einer elitären Abschottung eines künstlerischen Umfelds in einen Innenbezirk, will sie sich der Gesellschaft öffnen und Leute aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten ansprechen. Insofern ist die Schule im 16.Bezirk genau da gelandet, wo sie sein möchte, nämlich an der Schnittstelle von Diversität, Realität und Kreativität.
Paulina Duarte Herrera, Praktikantin 2018